Station 2

Die Ausgrenzungsgesellschaft

Eine Blutspur durch die Region
Öhringen – Niederstetten - Creglingen

Schon früh haben Hohenloher Juden den Machtrausch der nationalsozialistischen Revolution und den damit verbundenen Antisemitismus zu spüren bekommen. Es begann in Öhringen, an einem Samstag im März 1933 als man bei Juden und Kommunisten Hausdurchsuchungen durchführte und sie drangsalierte. Der aus Heilbronn stammende SA Führer mit seinem Trupp ließ die Verhafteten am Abend mit Fackeln durch die Stadt ziehen. Sie mussten sich dabei vor dem Oberamt aufstellen und sich in einem öffentlichen Bekenntnis selbst beschuldigen. Davon machte man Fotos und verteilte diese unter den Schülern der Stadt.
Eine Woche später, an einem Sabbat, dem 25. März 1933 kommt es in den Morgenstunden zu einem brutalen Vorfall auf dem Rathaus der Kleinstadt Niederstetten. Von Heilbronn aus fiel eine Horde von grölenden SA-Leuten, Polizisten und Kriminalbeamten ein. Am frühen Morgen drang man in jüdische Häuser ein, durchsuchte diese nach Waffen und staatsfeindlichem Propagandamaterial. Es kam zu üblen Szenen. Die Männer wurden in den Rathaussaal geschleppt.
Die Ortspolizei bewachte die Rathaustreppe und die SA-Leute schlugen die Juden brutal zusammen. Einige wurden lebensgefährlich verletzt und mussten unter Lebensgefahr der Helfer in eine Würzburger Klinik gebracht werden. Acht Juden wurden verhaftet und noch wochenlang festgehalten. Von den Realschülern, die anschließend im Saal des Rathauses Unterricht hatten, wurde verlangt, das Blut und den Schmutz aufzuwischen.

Der SA-Trupp zog weiter nach Creglingen. Dort versammelten sich um diese Zeit die jüdischen Männer zum Gottesdienst in der Synagoge. Achtzehn der Anwesenden brachte man aufs Rathaus. Das Vorgehen war dasselbe wie in Niederstetten. Am Ende wurde ihnen sogar noch die Haupt- und Barthaare abgeschnitten. Zwei Todesopfer waren die Folge der Quälerei. In Niederstetten war an jenem Abend eine Gemeinderatssitzung anberaumt worden. Dabei wurden Reichspräsident von Hindenburg und Reichkanzler Adolf Hitler einstimmig zu Ehrenbürgern ernannt. Auch die beiden Hauptstraßen trugen nun deren Namen.

Stadtpfarrer Hermann Umfrid erfuhr von den Ereignissen als erstes von der Gemeindeschwester, die sich um die geschundenen jüdischen Männer kümmerte und immer wieder in der Küche des Pfarrhauses stand. Sie flehte wohl, er möge vorsichtig sein, wenn er sich zu den Vorfällen äußern würde. Später teilte Umfrid etwas von seinem inneren Antrieb für seine deutlichen Worte mit, als er formulierte: „Der Gemeinde musste geholfen werden. Die einen verhehlen schlecht ihre Schadenfreude, die anderen waren völlig eingeschüchtert“.

Umfrids Frau erinnert sich an jenen Sonntagmorgen: „Schon während seines Sprechens fühlte man, wie der lähmende Druck von den Zuhörern wich, wie sie wieder Mut fassten. Andere haben ihm in bewegender Weise gedankt“.

Freilich schon am Nachmittag wendete sich das Blatt. Man schickte den Bürgermeister, der auch Mitglied des Kirchengemeinderats war: Umfrid müsse seine Predigt widerrufen, hieß es. Und am Montag hatte die Partei bereits Kontakt nach Stuttgart aufgenommen. Das Kesseltreiben hatte begonnen.

Der Text orientiert sich an den Ausführungen von Eberhard Röhm/Jörg Thierfelder: Juden, Christen, Deutsche; Band 1 – 1933-1935

Warum hinschauen, wenn man wegschauen kann?

Zivilcourage

Landauf-landab gilt Zivilcourage als vorbildlich. Doch Alltagshelden sind rar, damals und heute. Warum nur? 

Menschen die sich mit der menschlichen Seele im sozialen Umfeld befassen, machen in diesem Zusammenhang auf einen besonderen Sachverhalt aufmerksam:  

Ob unter Gruppenzwang oder ohne ihn, im persönlichen Miteinander; Menschen vermeiden unangenehme Auseinandersetzungen. Unser Drang nach Harmonie und Konformität geht zurück auf die Evolution, die den Menschen zum Herdentier werden ließ. In einer Gruppe überleben ist leichter als auf sich selber gestellt. Die Herde schützt und verleiht Stärke. Mit ihr verdirbt man es sich nicht. Wer Zivilcourage zeigen will, muss seine Instinkte überwinden. Das ist enorm schwer. Natürlich gibt es die Mutigen, die Unrecht nicht akzeptieren, wenn sie darauf stoßen. Die „nein“ rufen, wenn alle anderen mit dem Kopf nicken oder sich wegdrehen. 

Die Klassiker der Sozialpsychologie weisen darauf hin. Bekannt geworden ist das Milgrim-Experiment, in dem der Versuchsleiter Menschen dazu bringt, einem Fremden (vermeintliche) Elektroschocks zu verabreichen. Es gibt auch das Asch-Experiment, bei dem Menschen sich durch Gruppenzwang zu Falschaussagen bringen lassen. Die Zahl der Mutigen, oftmals auch als die „anständigen“ bezeichnet ist gering und hängt von der jeweiligen Situation ab. Davon, wie nah ich dem Opfer bin, ob ich es höre oder sehe…. 

Es kommt dabei nicht darauf an, wie alt man ist, welche Bildung man genossen hat, ob Arm oder reich, Mann oder Frau, ob mit ausgeprägten moralischen Grundsätzen oder nicht, ob mit oder ohne Religion aufgewachsen.  

 

Für inhumane Gräueltaten bis hin zu Massenmord braucht es keine sadistischen Unmenschen oder Bestien. Es genügt erschreckenderweise die Verschiebung des sozialen Rahmens, in dem ich mich bewege und die Kraft der jeweiligen Situation. Wenn sich dort soziale Handlungsräume öffnen, in denen plötzlich erlaubt oder gar gefordert wird, was gestern noch verboten war, dann sind wir alle anfällig. 

Dann wechseln Menschen auch in der Kleinstadt Niederstetten plötzlich von einem Tag auf den anderen die Straßenseite, wenn sie Juden begegnen. Sie lassen Freundschaften mit Ihnen einschlafen, trauen sich nicht mehr zu widersprechen, wenn im Gasthaus über Fremde oder in Leserbriefen über „Fremdrassige“ hergezogen wird. Was harmlos beginnt, steigert sich. Man kauft nicht mehr in jüdischen Geschäften, besucht deren Bestattungen nicht mehr und verbreitet Lügen. Gestern und heute: „irgendwas wird schon dran sein“. Vor Mord kommt Rufmord!  

Sozialpsychologen fanden bei ihren Untersuchungen heraus, dass schon wenige Personen reichen, um die Meinung einer großen Gruppe zu beeinflussen. Es gibt Belege dafür, dass eine Meinungsmehrheit von über 90% auf weniger als die Hälfte sinkt, sobald sich in der Gruppe nur ein einzelner aber kompetenter Abweichler lautstark zu Wort meldet. Umgekehrt: Je stärker der Widerspruch, desto eher fühlt man sich zum Einlenken genötigt. Dies lässt sich auch in den Diskussionsforen der sozialen Medien/facebook nachvollziehen. Allerdings: Nicht wenige Kritiker versuchen den Mangel an Argumenten und Substanz durch Vehemenz auszugleichen. 

Wie schnell sind Menschen bereit, sich Autorität unterzuordnen und sogar anderen Schmerzen zuzufügen. Und das, obwohl für das eigene Leben und die eigene Gesundheit keine Gefahr besteht. Wieviel mehr ist man zum Gehorsam bereit, wenn es um das eigene Heil, die Wahrheit oder den rechten Weg geht? Ist nicht die Frage, woher jemand seine Autorität nimmt und wie er sie begründet immer eine der ersten Fragen? 

Lob des Widerspruchs

Die gute Nachricht

Um mutig aus der Masse auszuscheren, vielleicht sogar um Vorbild zu werden, muss ich keine Kurse besuchen oder mit besonders hehren moralischen Maßstäben ausgestattet sein. Hilfreich ist ein einfacher Gedankentrick: Sehe ich einen Menschen in Not, stell ich mir vor, es wär mein bester Freund. Wer couragiert handelt kann in ganz durchschnittlichen Bahnen leben und denken. Oft reicht es im richtigen Moment aufzustehen oder etwas Richtiges zu sagen.  

Schätze ich Kritik und die Meinung der Anderen? 

Bin ich bereit Fehler zuzugeben? 

Zeugt es nicht von, Mut und Ehrlichkeit, einen einmal eingeschlagenen Weg zu verlassen und anderen gegenüber zu formulieren: Bis hier hin und nicht weiter? 

Erkenne ich, dass ich von anderen etwas lernen kann?  

Bin ich sehr von mir überzeugt und lass mir nicht gerne etwas sagen? 

Weiß ich um meine Stärken und Schwächen? 

Ich kann mich selber fragen: